Mary Jane und der Wind aus West

Von Nils Hollendieck

Eine kurze Erörterung vom Autor:
"Die Handlung spielt in Großbritannien Ende des 19. Jahrhunderts.
Die Titelfigur geht auf eine junge Frau zurück, die es wirklich gegeben hat. Grace Darling (1815 – 1842) verbrachte Teile ihres Lebens mit ihrer Familie am Leuchtturm der „Farne Islands“ in Northumberland. Dort rettete sie am 7. September 1838 neun Seeleute des auf Grund gelaufenen Schiffes „Forfarshire“. Durch diese Tat wurde Grace zu einem Vorbild für Mädchen und Frauen der viktorianischen Periode. Sie starb an Tuberkulose.
Dies ist allerdings kein weiteres biographisches Theaterstück zu dieser historischen Gestalt. Vieles habe ich aus dramaturgischen Gründen verändert bzw. frei erfunden. So hat meine Heldin keine Geschwister und auch ihr Ende unterscheidet sich von dem Schicksal Grace Darlings. Es erschien mir deshalb ratsam, die Handlung um Jahrzehnte zu verschieben und auch andere, frei erfundene Namen für Personen und Ort zu verwenden."

Aufenthalt im Leuchtturm
Mary Jane, Tochter des wortkargen Leuchtturmwärters John Woolf Forster, lebt ein übersichtliches und vorgezeichnetes Leben am Meer. Sie weiß, dass sie irgendwann Stanley, den Sohn des nächsten Leuchtturmwärters, heiraten wird, um dann auch weiterhin an der Küste zu leben. Als ein Sturm aufzieht, der „Wind aus West“, beobachten sie und ihr Vater, wie ein Passagierschiff in Seenot gerät. Sofort entscheidet sich Mary Jane, hinauszurudern und die Menschen zu retten. Ihr Vater warnt, wird ihr aber schließlich folgen und helfen. Durch diese Rettungsaktion erlangt Mary Jane kurzzeitigen Ruhm bis in die Hauptstadt. Sie mutiert zur Heldin und zum Frauenmodell ihrer Epoche. Rasch tauchen Journalisten auf und Mary Jane ist diesem Ansturm völlig unvorbereitet ausgeliefert. Tante Hetty, die Schwester ihrer verstorbenen Mutter, ist aus London angereist und weiß, was zu tun ist. Sie übernimmt das Kommando und überredet den Vater, dass sie Mary Jane mit nach London nehmen kann.

Aufenthalt in London – Aufstieg und Fall einer Ikone
Überwältig von dem Großstadtleben fühlt Mary Jane sich schnell mit ihrem neuen Leben überfordert. Sie muss ein Korsett tragen, sich von Journalisten fotografieren lassen, kann nur mit Mühe ihre Reden vor Mädchen, die sie viel schöner findet als sich selber, halten.

Mary Jane merkt, dass ihre Tante bei der Darstellung der Heldentat immer mehr übertreibt. Auch missfällt ihr, dass ihre Tante den neuen Ruhm in bare Münze verwandelt, um ihrer Nichte eine vernünftige Aussteuer zu verschaffen. Sie soll einen reichen Londoner Bankierssohn heiraten. Deshalb werden Bewunderinnen Schals gestrickt. Während Mary Jane am Anfang noch selber strickt, werden schnell weitere Frauen angestellt, um die Schals herzustellen. Auf der anderen Seite wird das Bild von Mary Jane in Zeitungen, aber schließlich auch auf Tassen, in gerahmten Bildchen und Schneekugeln vermarktet. Stanley schreibt sie während dieser Zeit immer wieder Briefe, die allerdings mit der Zeit immer oberflächlicher und kürzer werden. Gleichzeitig beginnt Mary Jane zu kränkeln, sie muss immer öfter husten.

Mehr und mehr emanzipiert sich Mary Jane. Sie wird im Reden vor Publikum immer gewandter und übernimmt die rhetorischen Kniffe ihrer Tante. Außerdem lernt mit Lord Fairbanks einen adligen Bewunderer kennen, den sie zum Entsetzen ihrer Tante zu heiraten gedenkt. Als Stanley ihr in London über den Weg läuft, erfährt sie, dass dessen Vater mittlerweile gestorben ist und Stanley den Posten des Leuchtturmwärters annimmt. Sie realisiert, dass die Verbindung zu ihrem ehemaligen Leben im Leuchtturm kaum noch besteht.

Schließlich werden die Medien auf die Heldentat eines jüngeren Mädchens aufmerksam, dass noch mehr Menschen als Mary Jane gerettet hat. Der Ruhm von Mary Jane verblasst, die Journalisten durchleuchten ihre Vermarktungsstrategie. Mary Jane begreift, dass sie die Unterstützung des Wind aus West verloren hat. Sie bricht zusammen.

Zurück im Leuchtturm 
Zurück im Leuchtturm erholt Mary Jane sich bei ihrem Vater. Besonders Stanley kümmert sich um sie. Nachdem sie genesen ist, stellt sie ihr weiteres Leben als Frau an der Seite von Stanley und mehrfache Mutter dar, weit entfernt von dem Medienrummel der Großstadt. Sie stellt fest, dass sie nur so glücklich ist.